VERA LEUTLOFF

Galerie Reinhold Maas 2021

Oszillation

Neue Bilder von Vera Leutloff sind da. Neue malerische Elemente, neue Darstellungsweisen und neue Begriffe. Viele offene Fragen. Super spannend alles zu klären.

„Circular Oszillation: Tian“ und „Izizague: Atlantik“ sind zwei dieser neuen Werke. Die erste Arbeit zeigt einen rot-schwarzen Kreis, zentriert auf einer quadratischen Leinwand. Im Inneren des Kreises, zum Bildmittelpunkt hin zentriert, verläuft eine weiß-hellrot-violette Frequenzwelle im Kreis. Das zweite Werk „Izizague: Atlantik“, gemalt in blau-weißen Farbtönen, enthält ebenso eine Frequenzwelle. Diese befindet sich in der Bildmitte und läuft vom linken Bildrand zum Rechten durch. Die Frequenzwelle wird von Vera Leutloff als „Oszillation“ bezeichnet.

„Oszillation“ oder „Oszillieren“ kommt aus dem Lateinischen von „oscillatio“, dem Schaukeln und bedeutet Schwingung oder Schwankung. Die Begriffe werden hauptsächlich in den Wissenschaften oder auch in der elektronischen Musik verwendet.

Die Oszillation ist ein neues Thema und taucht in beiden Werken auf. Die Wellenbewegung wird in einem Pinselzug gemalt. In den Circular-Oszillation-Arbeiten schließt sie genau an ihren Anfang an. Diese neue malerische Methode ermöglicht mehr „zufällige“ Farbmischungen. Allgemein entstehen in allen Arbeiten der Künstlerin unvorhersehbare Farbergebnisse, die auch bei gleicher Vorgehensweise jedes Mal anders sind. In ihren früheren Bildergruppen, wie beispielsweise den Verlauf- und Moment- Bildern, ist die festgelegte Farbverschiebung und damit auch die Vermischung durch eine eher der Form folgenden Bewegung und Grenzlinien gekennzeichnet. Beim Oszillieren ist die Pinselführung dagegen freier und bietet mehr Raum für überraschende Ergebnisse. „Im Zusammenspiel zwischen Farbe und Bewegung kann es sich ausbreiten“, beschreibt Vera Leutloff.

Der zentrierte gefüllte Kreis ist so in Vera Leutloffs Werken bislang noch nicht da gewesen. In Bildern wie „Kreise: Kadmiumgelb, Zinnoberrot, Phthalogrünblau“ verwendet sie zwar auch die geometrische Figur, aber immer nur als Reifen und mehrere in verschiedenen Positionen übereinander gestapelt. Bei „Circular Oszillation: Tian“ kommt eine andere „runde Geometrie“ hinzu. Es entsteht auch ein neuer Malprozess. Das Bild wird während des Malens von Hand gedreht. Bei Vera Leutloffs Arbeiten ist der Vorgang generell oft körperlich nicht einfach. Für große Arbeiten verwendet sie Pinsel mit einer Größe von bis zu 50 cm, die ganz schön schwer werden können. Es bedarf höchster Konzentration und Geschick. Vera Leutloff beschreibt das Durchführen auch als „meditative Versenkung“. Dabei entsteht aus der Kombination von körperlicher Bewegung, Planung und Konzentration ein Rhythmus.

Die Circular-Oszillation-Arbeiten sind keine Tondos. Dieser Eindruck entsteht fälschlicherweise, wenn man sich nur Abbildungen im Internet und im Print anschaut. Die quadratische, weiß bemalte Leinwand hebt sich nur leicht von dem meist gleichfarbigen Seitenhintergrund ab. Warum machte Vera Leutloff aus den Circular-Oszillation-Arbeiten keine Tondos? Runde Leinwände werden genau für diesen Zweck verkauft. Sie entschied sich bewusst gegen die kreisrunde Variante und für die Quadratische. Der Kreis bleibt durch dieses Format nochmal verortet und bleibt ein Kreis, im Gegensatz zum Tondo, das ein kreisförmiges Bildmedium ist und als Mittel zum Zweck dient, indem es auf seinen Bildinhalt lenkt und ihn hervorhebt.

Die quadratische Leinwand ist ebenso wichtig für die Farbwirkung. Der Kreis kontrastiert mit einem von der Künstlerin ausgewählten Weißton, anstatt direkt mit einer zufälligen Seiten- oder Wandfarbe. Zusätzlich ist die quadratische Leinwand ein wichtiges Mittel beim malerischen Prozess, da die Farbposition und Verschiebung im Kreis von der Künstlerin präzise festgelegt wird und in Korrelation zum Quadrat steht.

Trotz aller Neuerungen sind frühere malerischen Prozesse jedoch nicht verworfen. Die neuen Arbeiten führen diese fort. Bei „Circular Oszillation: Tian“ und „Izizague: Atlantik“ ist der Farbauftrag und die Farbverschiebung, abgesehen von den Wellenbewegungen, gleich konstruiert und durchgeführt wie bei den Haiku-Bildern. Dabei wird Farbe auf noch nicht getrockneter Farbe aufgetragen und mit dem Pinsel verschoben. Die Künstlerin wertet weder alt, noch neu.

Ein weiterer spannender Punkt sind die Titel. Die Titel sind „richtungsweisend“ und haben einen festen Aufbau aus zwei oder drei Teilen. Der erste und der zweite Teil bezeichnen meist die malerische Struktur und Methode, wie beispielsweise „Kreise: Vorbei:“ in dem Titel „Kreise: Vorbei: Sommerwiese“. Sie schließen jeweils mit einem Doppelpunkt ab. Danach kommt der dritte Teil, oft eine farbliche oder klangliche Assoziation: „Sommerwiese“, oder auch die Nennung verwendeter Farben wie in „Kreise: Kadmiumgelb, Zinnoberrot, Phthalogrünblau“. Ähnlich beschreibt es Ralph Kleinsimlinghaus im Katalog „Vera Leutloff: Limonaia - Nordlicht - Seegrün und Crimsonrot“.

Wie passen die neuen Titelteile „Izizague“ und „Tian“ hier dazu und was bedeuten sie eigentlich? Das Interessante dabei ist, dass die Bedeutung der beiden Wörter eher zweitrangig ist, denn es geht in erster Linie um ihren Klang. „Izizague“ und „Tian“ gehören zu den Bezeichnungen, die die Künstlerin selbst kreiert bzw. erfunden hat. Manchmal haben sie zufällig sogar schon eine Bedeutung. Das spielt ebenfalls eine große Rolle bei der Auswahl der Begrifflichkeiten. Gefällt der Künstlerin die Bedeutung des bereits existierenden Ausdrucks nicht, hat diese keinen Bezug zu dem Bild oder passt nicht zu seinem eigenen Klang, wird der Titelteil doch verworfen und ein neuer überlegt. Für die Künstlerin ist es viel wichtiger, dass das Wort so klingt wie das Bild.

Die Künstlerin bedient sich wegen des besseren Klangs auch an Wörtern aus verschiedenen Sprachen. Bei „Circular Oszillation: Tian“ ist das Wort „Circular“ englisch und „Oszillation“ deutsch. Das ist tatsächlich so beabsichtigt, denn so klingt der vollständige Titel in seiner Aussprache und seinem Klang für die Künstlerin am besten, am passendsten zu dem Bild.

Die Titel „Circular Oszillation: Tian“ und „Izizague: Atlantik“ enthalten also teils die malerischen Methoden und teils klanglich passende Wörter und farblich assoziative Anstöße.

Die Intention der Künstlerin bleibt trotz aller Neuerungen die Gleiche: „Anknüpfungspunkt ist die Grundform der Bewegung in der Malerei“, sagt Vera Leutloff. Für sie ist Malen zuerst einmal „das Verschieben von Farbe“. Es geht immer noch in erster Linie um Farbe und Bewegung, das Vorgehen und den malerischen Prozess. Obwohl die Künstlerin nicht immer ganz eindeutig zur Konkreten Kunst zugeordnet werden kann, bieten die neuen Bilder typische Merkmale dieser Kunstrichtung. Die Positionierung und die Verschiebung der Farbe ist bei Vera Leutloff immer genau durchdacht und geometrisch konstruiert. Tiefe, plastische Wirkung und andere Effekte entstehen in Vera Leutloffs Arbeiten als Folge. Es wird nichts abgebildet oder abstrahiert, die Farbe und die durch das Konzept entstehenden Farbmischungen wirken eigenständig.

Kristina Schamkaew